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Die Funktion Von Kunst Und Design Im Wirtschaftsprozess
Patrik Schumacher 1985 - 1995
Analyse der Prägungsphase am Beispiel des Deutschen Werkbundes
Unpublished Manuscript

ZWEITE UMKREISUNG
- Kritik der bisherigen kunstgeschichtlichen Darstellungen des Deutschen Werkbundes und Forderung einer ökonomiebezogenen Geschichtsschreibung des DWB
- Monographien

KRITIK DER HISTORIOGRAPHIE ZUM DWB  - 
FORDERUNG EINER MATERIALISTISCHEN GESCHICHTSSCHREIBUNG

Besagte wirtschaftspolitische Funktion war von Anfang an der entscheidende und offensichtliche Daseinsgrund des Deutschen Werkbundes. Jedoch wird in den meisten Darstellungen/Würdigungen des DWB von diesem Hintergrund "abstrahiert", oder dieser wird gerade noch, gleichsam "im Vorbeigehen", als Nebensächlichkeit gestreift. Nirgens wird er in seiner systematischen, auf den Weltkrieg hin immer durchschlagenderen Prägung der Arbeit des DWB untersucht. Was damals in der Gründungsrede Fritz Schumachers und in fast jeder weiteren Selbstdarstellung des DWB und seiner Ziele in jenen Jahren noch lautstark verkündet wurde, verschwand fast völlig aus der Kunst/Architekturgeschichtsschreibung. Auch Arbeiten, die den DWB, seine Ideale und die Entwürfe seiner Protagonisten innerhalb einer Entwicklungsgeschichte von Architektur und Design nicht nur darstellen, sondern auch erklären wollen, operieren nur mit kunstimmanenten Kategorien und auf solche bezogene Selbstzeugnisse und können oder wollen die politisch/ökonomischen Ziele und Dynamiken nicht mit der künstlerischen Dynamik in Zusammenhang bringen. Diese generelle "idealistische" Tendenz der Kunstgeschichte grenzt in Bezug auf den DWB geradezu an mutwillige Geschichtsfälschung.
Pevners "Lexikon der Weltarchitektur", Giedions "Raum, Zeit, Architektur", Herders "Lexikon der Kunst", Brockhaus Enzyklopädie oder, um ein neueres Beispiel zu nennen, Udo Kultermanns "Architektur im 20.Jahrhundert"  -  sie alle definieren ohne Fragezeichen den Deutschen Werkbund als einen Bund mit heeren Idealen: Als einen Bund mit dem vornehmlichen Auftrag für "bessere Formgebung von Gebrauchsgegenständen des Alltags" (Pevsner)(13), "für schöpferische Persönlichkeiten einzustehen" (Giedion)(14), "die Qualität der gewerblichen Arbeit zu fördern (Brockhaus)(15), "den Zeittendenzen organisatorisch Ausdruck geben" (Kultermann)(16), "Überwindung des Historismus" (Lexikon der Kunst)(17). Letzteres Lexikon erwähnt jedoch immerhin:
 "Auf der Grundlage industrieller Fertigung sollte sich ein gegenwartsorien­tierter, sachlicher Stil entwickeln und deutschen Fabrikaten auf dem Weltmarkt ein Vormachtstellung sichern."(18) (Hervorhebung hinzugefügt). Diese in einen Nebensatz verbannte Andeutung zeigt jedoch nicht die geringste Tendenz zu einer kritischen Fragestellung. Die lapidare Konjunktion zeigt im Gegenteil nur, daß an die Möglichkeit eines Konfliktes zwischen der erwähnten Weltmarktorientierung und den heeren künstleri­schen Idealen nicht gedacht wird. Die unkritische Haltung bestätigt sich dann, indem der Artikel gerade da wieder nur eine Sonntagsrede herbetet, wo die Integrität des DWB als rein kulturellen Idealen dienend besonders fragwürdig wird, nämlich mit der Herausgabe des sogenannten Deutschen Warenbuchs:
 "Das 1915 erscheinende Deutsche Warenbuch, in dem hervoragend gestaltete Gebrauchsg¸ter aus allen Bereichen publiziert wurden, wirkte durch seine weite Verbreitung erzieherisch auf das Qualitätsbewufltsein der Verbraucher."(19)
Erst ein englischer Architekturhistoriker  - Reyner Banham -  scheint unbefangen genug, das Offensichtliche beim Namen zu nennnen. Zunächst bemerkt er, daß Herrmann Muthesius nicht nur Architekt war, sondern "a prussian civil servant who regarded himself as an instrument in the furtherance of German economic policy."(20)  Der Werkbund wird dann weiter charakterisiert als "attempt to weld industry and the unattached artists and designers into a single, effective organisation that could make a usefull contribution to the national economy."(21)  Und: "The new insistance on spiritualization and good form was, in part at least, only another tactic in a continuing trade war."(22)  Diese deutlichen Worte, die alles andere als eine böswillige Interpretation darstellen, sondern schlicht auf einer unbefangenen Lektüre der Werkbundschriften selbst beruht (und ahnlich kritische Äußerungen des englischen DWB-Zeitgenosen Lethaby wiederspiegeln), werden bei Banham jedoch nicht zu einem Angelpunkt systematischer Darstellung. Vielmehr stehen diese Äußerungen beziehungslos neben der Erörterung des DWB in den gegebenen kunstimmanenten Kategorien (Form, Typus, Ausdruck, Stil ect.), anstatt, nach der Entdeckung ihrer Ökonomischen Grundlage, die Selb­stverständlichkeit und Selbstgenügsamkeit dieser Kategorien zu hinterfragen und ihre ökonomische und ideologische Funktion zu untersuchen.
In einer neuerlichen Selbstdarstellung des Deutschen Werkbundes und seiner Geschichte in Buchform bzw. in der Form eines Ausstellungskata­loges (1987) ist ein Artikel aus der Süddeutschen Zeitung (1982) unter dem Titel "Der Deutsche Werkbund 1907 ... "(23) abge­druckt. Der Artikel ist im üblichen idealistischen Lobestenor verfaßt: Ziel sei die "Veredelung der gewerblichen Arbeit" gewesen, "keineswegs eine luxuriöse ästhetische Kultur für eine begüterte Elite zu fördern"(24), der DWB wandelte "im Gedankenkreis von Ruskin und Morris, glaubte jedoch nicht mehr, nur die Rückkehr zum Handwerk könne wieder Arbeitsglück bringen ... Man traute vielmehr der Kunst diese Kraft zu."(25)  Dann wird aus der Gründungsrede Schumachers zitiert, der einen Zu­sammenhang herstellt zwischen Kunst, Daseinsgefühl des Arbeiters und der wirtschaftlichen Kraft des Volkes. Das Zitat wird dann folgendermaßen erläutert und kommentiert:
"Darunter verstand man vor allem eine Steigerung der Wettbewerbschancen der deutschen Industrie auf dem Weltmarkt. Ob dieses exportpolitische "Argument" eine Industrie, die mit minderer formaler Qualität  - und gerade mit ihr -  grofle Exportgeschäfte machte, sehr beeindrucken konnte, bleibe dahingestellt; es war aber natürlich das einzige, für das der Werkbund ein offenes Ohr hat erwarten können."(26)
Wer hat da also wen vor den Karren gespannt? Diese Frage scheint sich aufzudrängen. Jedoch halte ich diese Frage für unfruchtbar, sofern sie sich letztlich unlösbar in die durchwachsenen, persönlichen Motive der DWB-Protagonisten verstricken muß. Schon gar nicht soll hier also bewußte Heuchelei bei diesen unterstellt werden oder gar von einer politischen Verschwörung, die sich nur idealistisch tarnt, die Rede sein. Vielmehr möchte ich hier folgendes (dem Darwinismus analoge) kulturhistoriographi­sche Prinzip anwenden: Ganz unabhängig von den ursprünglichen Absichten, die hinter dieser oder jener Kulturproduktion stehen mögen, werden nur solche Leistungen erfolgreich sein (d.h. sich durchsetzen und damit allererst in der Kulturgeschichte erscheinen),die eine Funktion im gesellschaftlichen Reproduktionsprozeß einnehmen, und sei diese noch so weit von den jeweiligen subjektiven Absichten entfernt. Es ist demnach zu untersuchen, aufgrund welcher kapitalproduktiven Funktionen sich sowohl der DWB als Organisation, als auch die Mitglieder individuell mittels ihrer Aktivitäten, sich innerhalb der Gesellschaft materiell reproduzieren konnten, d.h. Teil einer gesellschaftli­chen Reproduktion waren, die (damals wie heute) in jeder ihrer Regungen und Bewegungen durch optimierte Kapitalverwertung vermittelt war. (Hätte der DWB nichts zu bieten gehabt wofür sich das zahlen lohnt, dann wären ihm sehr schnell die Mittel ausgegangen.) Die im Zitat 20 implizierte Umkehrung von objektiven Bedingungsverhältnissen zugunsten sub­jektiver Motivationen ist typisch. Man geht von Idealen aus, die sich nun ein Argument suchen müssten, um dann von der Wirtschaft akzeptiert und also in der Realität wirksam zu werden. Eine soche idealistische Darstellung übersieht im Falle des DWB, daß die Ideale bzw. die Ideologie des DWB sich nicht in einem  ausge­dachten Formideal  - ornamentlose, funktionale Eleganz oder ähnlichem -  erschöpft, sondern (wie unten noch genauer auszuführen sein wird) wesentliche neue Strukturmomente der gesellschaftlichen Produktion/Konsumption verarbeitet und fördert: konsequente Industrialisierung der Konsumgüterindustrie (Entstigmatisierung und Kunstweihe der Maschinenproduktion), Exportabhängigkeit derselben, Monopolisierungstendenz auch in der Konsumgüterproduktion, Werbung, Herausbildung des Prinzips des Markenartikels, Herausbildung des Berufsstandes des Designers.

MONOGRAPHIEN

Joan Campbell "Der Deutsche Werkbund 1907-1934" (27)
Diese Monographie gibt eine sehr detaillierte Beschreibung der äußeren Abläufe, sowie der jeweiligen Stellung und Funktion der involvierten Persönlichkeiten. In Bezug auf fast jede in der Literatur erwähnte Begebenheit ist hier präziser als sonst Auskunft gegeben. Insofern ist das Buch sehr wertvoll, gleichsam als empirische Materialsammmlung. Eine dezidierte These findet man nicht.
Hinweise auf wirtschaftliche Ziele des DWB, wie das Bestreben die Exportchancen der Deutschen Industrie zu erhöhen, finden sich viele, allerdings wiederum meist in Nebensätze verbannt und an keiner Stelle zu einem relevanten Thema oder Ausgangspunkt der Erörterung gemacht. Vielmehr herrscht auch hier, bei allem detaillierten Hintergrundmaterial, eine idealisierende Lesart  vor. Bereits der erste Satz münzt die Geschichte in subjektiv-idealistische Kategorien um:
"Die Gründung des Deutschen Werkbundes im Jahre 1907 entsprang dem weitverbreiteten Gefühl, daß Deutschlands übereilte Industrialisierung und Modernisierung eine Gefahr für die nationale Kultur heraufbeschwöre."(28)(Heraushebungen hinzugefügt)
(Eine Darstellung der Ausgangssituation der DWB-Gründung, die nicht davon ausgeht, daß Gefühle Geschichte machen, ist unten zu Beginn des Kapitels "Das exportpolitische Programm des DWB", sowie zu Beginn des Kapitels "Qualität" gegeben.)
Weiter heißt es idealisierend, Ausgangspunkt der Gründung wäre die Hoffnung gewesen, "es könnte einem Werkbund gelingen, in das deutsche Wirtschaftsleben das entbehrte künstlerische und sittliche Element einzufügen."(29) über Friedrich Naumann, dem politischen Vordenker des DWB (von dem noch viel zu sprechen sein wird) heißt es, er wäre vor allem durch seine starken künstlerischen Neigungen zum Werkbund hingezogen worden. So tendiert Campbell in allen Spannungspunkten zur idealisierenden Versöhnung der Widersprüche und übernimmt fraglos gerade die idealistischen Äuflerungen der beteiligten Zeitgenossen. Die Umkehrung der Hierarchie von Wirtschaft und Kultur  - wie sie oben bereits bezüglich des DWB-Buches von 1987 konstatiert wurde -  findet sich auch hier: So spricht Campbell von dem "Nachdruck auf guten Geschmack und Qualität als Tugenden an sich" und von der "Entschlossenheit, wirtschaftliche, sittliche und patriotische Antriebe zur Erzielung wesentlich ästhetischer Reformen zu mobilisieren."(30) Oder auch: "Er (der DWB) nahm in seine Mitgliedschaft Bewerber aus der Industrie auf, wenn sie nur grundsätzlich Neigung für seine Ziele hatten, und hoffte so die Gebieter der Geschäftswelt dem Dienst der Kulturgemeischaft zu verpflichten."(31)  Als Campbell im Vorbeigehen den Naumannschen Vergleich von DWB mit dem Flottenverein erwähnt (d.h. eines angeblichen Kulturvereins mit einem Verein, der sich die militärische Aufrüstung zum Ziel gesetzt hatte)  dann stößt ihr dabei gar nichts auf. Sie nimmt diesen lediglich zum Anlaß über die Nebensächlichkeit zu reflektieren, "Im Gegensatz zum Flottenverein solle jedoch der Werkbund von amtlichem Einfluß und öffentlichen Subventionen unabhängig sein."(32) Ein Gegensatz wird jedoch von Naumann mit seinem Vergleich gerade nicht aufgemacht, vielmehr wird eine höchst bemerkenswerte Identität der Bestrebungen festgestellt.(33)
Derartiges sammeln von potentiell ergiebigen Tatsachen, bei gleichzeitigem "Einmachen" zur Belanglosigkeit einer bloßen Sammlung ist typisch nicht nur für dieses Buch. Akademische Geschichtsschreibung l'art pour l'art  -  mit dem Ergebnis, daß die Geschichte weiterhin ungestört ihren Gang gehen mag.
In einem Punkt fühlt sich Campbell dann doch noch genötigt politisch Farbe zu bekennen. Der Anlaß ist der berühmt-berüchtigte Konflikt, der 1914 offen zwischen Muthesius und van de Velde ausgetragen wurde: "Typisierung gegen Individualismus". (Genaueres zu dieser Kontroverse und wie sie bisher kunstgeschichtlich aufgearbeitet wurde unten im Kapitel "Typisierung".) Wie fast alle Kunstgeschichtsschreiber schlägt Campbell sich auf die Seite Muthesius', d.h. auf die Seite des Großkapitals im Konflikt mit den Mittelständischen Kunstgewerbebetrieben (siehe Kapitel "Typisierung"). Für Campbell war Muthesius' Forderung nach Typisierung ein berechtigter Feldzug gegen "hemmende Vorurteile" der Künstler bezüglich der Wirtschaftsunternehmen:
"Ob unter dem Einfluß sozialistischer Lehrmeinungen oder aus instinktiver Abneigung gegen den profitsüchtigen Materialismus in der modernen Industrie, jedenfalls machte die "antikapitali­stische Sehnsucht" es vielen Künstlern schwer, sich eine gedeihliche Arbeitsbeziehung mit Gliedern der Geschäftswelt vorzustellen. Man braucht nur Van de Veldes Rede über Kunst und Industrie nachzulesen, um sich klarzumachen, wieviel zu tun blieb, um wenigstens jene Künstler, die sich bereits dem Programmm des Werkbunds verpflichtet hatten, von hemmenden Vorurteilen zu lösen." (34)
Campbell versucht die unübersehbaren Konflikte und Widersprüche zwischen ernsthaft verfochtenen, künstlerischen, kulturellen Idealen und deren wirtschaftlicher Verwertung dadurch zu bereinigen und aus der Welt zu schaffen, daß sie jene mit der Uneinsichtigkeit und Dickköpfigkeit der "individualistischen" Künstler wegerklärt. Daß ihr dieser Punkt besonders wichtig ist, zeigt sich daran, daß sie ihn in ihrem Schlußwort noch einmal wiederholt, indem sie von der Zielsetzung des DWB spricht, "Künstler von ihrer blinden Abneigung gegen das auf Profit gerichtete kapitalistische System zu lösen."(35)
Diese Abneigung, sofern vorhanden, ist nicht so ohne weiteres  als >blind< abzutun, denn wie im weiteren noch zu zeigen sein wird, lassen sich nicht alle künstlerischen Ideale widerspruchsfrei unter die Logik kommerzieller Verwertung subsumieren. Auch wenn der kommerzielle Druck letztendlich als entscheidendes Selektionskriterium der, dem Kommerz in die Hände spielenden Kunstrichtung die Bahn bricht, so geschieht dies konkret gegen den leidenschaftlichen Widerstand anderer Kunstvorstellungen. Dabei geht es hier nicht um eine moralische Beurteilung, sondern darum, die objek­tiven, historischen "Beurteilungs"kriterien und -mechanismen auszumachen, um so die erfolgreichen und vielfach gefeierten Werkbundideale zu erklären, als die Ideale, die sich in dieser Zeit gleichsam durchsetzen mußten, Hand in Hand mit neuen wirtschaftlichhen Reproduktionsformen.

Wend Fischer (Hrsg.) "Zwischen Kunst und Industrie  -  Der Deutsche Werkbund" (36)
Es handelt sich hier um eine umfangreiche Sammlung von Textdokumenten aus der bis dahin (1975) fast siebzigjährigen, allerdings im Dritten Reich unterbrochenen Geschichte des DWB. An dieser Stelle bespreche ich nur den einleitenden Aufsatz "Zur Geschichte des Deutschen Werkbundes" von G.B.von Hartmann und Wend Fi­scher.
Vergegenwärtigt man sich die Tatsache, daß in diesem Buch historische Texte abgedruckt sind, aus denen sich für meine hier entwickelte These vom DWB als Werkzeug imperialer Politik, ohne lange suchen zu müssen, viel aufschlußreiches zitieren ließe, dann versteht man den Hintergrund der vorwegnehmenden Verteidigung durch Angriff der Herausgeber hinsichtlich der:  "Frühzeit des Werkbundes, in der nationales und anderes Pathos in einer in einer uns heute kaum noch verständlichen Weise den Ton bestimmte. Wer hier schnellfertig über zeitliche Kontexte hinweggeht und Urteile fällt, beweist nur sein Unvermögen historisch zu denken."(37)
Soll historisches Denken darin bestehen, unmißverständliche Texte mit dem historischen Kontext zu entschuldigen? Etwa, um so einen zeitlosen Kern, vom zeitlichen Kontext gereinigt, also unbefleckt zu erhalten? Handelt es sich bei dem, was hier entschuldigt werden soll, nur um eine "der eigenen Zeit verhaftete Ausdrucksweise"? Nein, umgekehrt muß betont werden, daß das, was damals mit Pathos ausgesprochen wurde, heute immer noch, aller­dings unausgesprochen, wirksam ist. Die Verleugnung dieser Tatsache und das hier durchschimmernde schlechte Gewissen erklären sich natürlich aus den katastrophalen, kriegerischen Entgleisungen der Politik, dessen Ausdruck bereits jenes "Pathos" war.
V.Hartmann/Fischer präsentieren als Ausgangspunkt des Deutschen Werkbundes  - typisch idealistisch -  ein "Unbehagen", ein "Unbehagen, an der Entwicklung der kunstgewerblichen wie der industriellen Produktion"(38) und besprechen dann im Folgenden das Anliegen des DWB so, als hätte es in erster Linie in der Überwindung der "Entfremdung des Produktes vom Schaffenden"(39) bestanden, welche die geistigen Initiatoren des DWB als den "entscheidenden Grund für den kulturellen und sozialen Niedergang"(40) identifiziert hätten. Sie zitieren Schumachers Wort von der "Gefahr der Entfremdung zwischen dem ausführenden und dem erfindenden Geiste"(41), mißinterpretieren die DWB-Satzungsformel von der "Veredelung der gewerblichen Arbeit" als "Veredelung des Arbeitsvorganges selbst"(42) und zitieren Theodor Fischers Hoffnung auf Rückgewinnung der Arbeitsfreude. Diese Grundidee des  Werkbundes sei die Entsprechung der Forderung von Marx und Engels nach der Befreiung aus der Entfremdung. V.Hartmann/Fischer scheinen nicht zu merken, daß ihre Formel "Entfremdung des Produktes vom Schaffenden"  - geradezu ein Freudscher Versprecher -  eine völlige Verdrehung des Marx­schen Begriffes von Entfremdung darstellt, eine Verdrehung, die sich der Überwindung von Marx definierten Entfremdung in den Weg stellt, indem sie das Entfremdungsverhältnis selbst als "Entfremdung des Produktes" nur vom Produkt her betrachtet. Dieses Produkt, und nicht der entfremdete Arbeiter, wird gleichsam als Lei­dendes des Entfremdungsverhältnisses gesehen und umsorgt. Diese Verdrehung entspricht dem Umgang mit diesem Thema im DWB selbst. Arbeitsfreude war nur Thema, insofern sich damit die Produktivität steigern lassen konnte. Darüberhinaus hatte die Scheinlösung der Entfremdungsfrage mittels der Kunst einen ideologischen Beitrag zu Naumanns Projekt einer bürgerlichen, "national-sozialen", politischen Beerbung der aufkommenden Sozialdemokratie zu leisten. Naumann agitierte, im Interesse der ambitionierten Konsumgüterindustrie, für eine  patriotisch gewendete, "sozialistische" Politik  rechts von der SPD. (Naumann sah bereits vor der Jahrhundertwende, daß die breite Mitgliedschaft der SPD, insbesondere die über die Gewerkschaften organisierten Genossen, entgegen der explizit marxistisch-revolutionären Programmatik der Partei, dem Reformismus und Patriotismus gegenüber empfänglich sein könnte.)
Eine eingehendere Erörterung dieser politischen Fragen und der Naumannschen Strategie folgt im Kapitel über "Die Innenpolitischen Fronten und die politische Ideologie des DWB", sowie im Kapitel zum Werkbundideal der "Arbeitsfreude".

Kurt Junghanns "Der Deutsche Werkbund  -  sein erstes Jahrzehnt" (43)

Das in der DDR erschienene Buch ist vorbildlich in seinem Reich­tum an ökonomisch/politischen Hintergründen und Herleitungen, die nicht einseitig als kategorische Basis-Überbau-Beziehungen dargestellt sind, sondern dialektisch die komplexen, kulturellen Phänomene als Forschungsraum eröffnen, in dem auch die in der westlichen Kulturforschung aufgearbeiteten künstlerisch-ideellen Eigendynamiken ihren (allerdings relativierten) Platz finden.
So lobenswert diese Differenziertheit und Abgewogenheit der Erörterung und Beurteilung prinzipiell ist, so scheint mir jedoch gerade für den selbstgenügsamen westdeutschen Kulturbetrieb eine wesentlich deutlichere These angemessener. Es besteht nämlich die Gefahr, die engagierte geschichtliche Betrachtung bei Junghanns als anekdotische zu lesen, d.h die historischen gesellschaftspolitischen Hintergründe reflektionslos zu überlesen oder als neutrales Bildungsgut bloß zu sammeln und so zum Bei­spiel die nationalchauvinistischen Verstrickungen des DWB als, von der künstlerischen Leistung abspaltbare politische Verunreinigung zu sehen.
Eine explizite These findet man bei Junghanns nicht. Impliziert ist folgende These, die hier ebenfalls vertreten wird:

These: Der DWB war, vor allem anderen, Werkzeug der Deutschen Konsumgüterindustrie im Kampf um wirtschaftliche und politische Vormachtstellung innerhalb des Deutschen Reiches und im internationalen  Exportwettkampf, sowie schließlich Werkzeug imperialer Machtpolitik.

Eine weitere kritische Bemerkung zu Junghanns' Buch ist angebracht: Auch bei Junghanns gibt es keine systematische Herleitung der künstlerischen Inhalte und Aktivitäten des DWB aus Monoploisierung, Vermarktungslogik, Weltmarktposition der deutschen Kon­sumgüterindustrie und deren innenpolitische Representation ect. Vielmehr kommen auch bei Junghanns idealistische Darstellungen zum tragen. Erklärlich ist dies aus Junghanns' Bestreben, das allgemein als fortschrittlich angesehene künstlerische Erbe des DWB für die Ahnenreihe der DDR zu vereinnahmen. Das marktwirtschaftliche funktionieren dieser Kunst konnte deshalb nicht als ihr eigentliches Wesen gesehen werden.

Francesco Dal Co "Figures of Architecture and Thought  -  German Architecture Culture 1880-1920"(44)
Das umfangreiche Kapitel über den Deutschen Werkbund ist eine Übersetzung aus dem 1982 erschienenen "Teorie del moderno: Architettura Germania 1880-1920". Der Hinweis auf das ursprüngliche Erscheinungsdatum ist hier wichtig, da der unkritische Rückbezug auf die Prämoderne ein ideologisches Merkmal der sich Anfang der 80er Jahre etablierenden Postmoderne war.
Die Arbeit Dal Co's erscheint zunächst exemplarisch für die Fruchtlosigkeit einer (allerdings nur scheinbar) wertfreien, standpunktlosen Gelehrsamkeit. Auf der Basis ausführlicher Quellenarbeit entsteht ein umfangreiches, allerdings rein ideengeschichtliches Panorama einer ganzen Epoche, aus der heraus der Werkbund verständlich werden soll. Zu jeder Position des Werkbundes findet Dal Co Vorläufer. Die Ideenursprünge sind divers und widerspruchsvoll. Für Dal Co scheint mit dem Aufspüren des Ursprungs einer Idee ihre effektive Präsenz schon erklärt. Eine politische Verortung des DWB bleibt aus. Es fehlt eine, das ausgebreitete Material synthetisierende Fragestellung. Dal Co verwechselt die zentral geführte Organisation des DWB mit ihren disparaten ideologischen Quellen und so zerrrinnt diese Aktionsfront zu einem inkohärenten "melting pot" (45) der Ideen. Dal Co's Darstellung wird dem Werkbund in seiner Fähigkeit zu eindeutiger Stellungnahme und kohärenter Tat  nicht gerecht. Der Versuch der ideengeschichtlichen Herleitung endet mit der Verleugnung des Phänomens.
Erst am Ende des Textes wird, über die typische Fruchtlosigkeit  der idealistischen Methode hinaus, eine konkreter ideologische Motivation für Dal Co's Überbetonung der Vielgestaltigkeit und Zerrissenheit im DWB offensichtlich: Für Dal Co war die Phase der Prämoderne die Austragung des Konfliktes zwischen reduktiver Modernisierung und ihrem kulturellen Widerstand. Dal Co findet ausgerechnet in der Prämoderne des frühen Werkbundes den letzten Widerstand vor dem Sündenfall der Moderne, d.h. der Kapitulation vor einem sterilen Funktionalismus und Internationalismus, wie er sich in Gropius' Faguswerk von 1913 vorankündigt. Die Prämoderne als der letzte Hort architektonischer Kultur  -  eine ausgesprochen kultur-pessimistische Interpretation. Dal Co rückprojeziert  -  als Ideologe der architektonischen Postmoderne  -  seinen aktuellen Kulturkampf in die Prämoderne. Da er dabei gerade die differentia specifica der Prämoderne gegenüber der Moderne als positiven Wert ausmachen will, geht er soweit, die offen nationalistisch-völkische Komponente der Werkbundideologie, die nach der Katastrophe des 1.Weltkrieges und mit der Machtübernahme der Sozialdemokratie natürlich diskreditiert war und gegenüber einer, zumindest rhetorisch eher internationalistischen  Ausrichtung des DWB zurücktrat, als positives Element des Widerstandes gegen den Sündenfall der Moderne zu betrachten. Was der Moderne abgehe, sei das "große Projekt"(46), die Mitteleuropa-Idee. Dal Co folgt somit unkritisch der kulturellen Verbrämung und Verklärung des imperialistischen Expansionsprojekts des wilhelminischen Monopolkapitals.
Dal Co's idealisierende Rückprojektion führt zu weiteren Fehlern: Er findet Konflikte wo es keine gab. So steht z.B. der Versuch der "Wiedergebuhrt eines Deutschen Stils"(47) gerade nicht wie Dal Co behauptet im Gegensatz zu der Vision einer an den USA sich messenden, industriellen, metropolitanen, deutschen Zivilisation. Der Deutsche Stil als eine kompakte Formation war ja gerade angelegt als der Beitrag der Kunst zu einer weltdominierenden, deutschen Fertigwarenindustrie und damit zur erfolgreichen Etablierung moderner Zivilisation in Deutschland. In ihrer organisationslosen Vereinzelung waren die deutschen Firmen immer wiede zu einer apriori zweitrangigen Imitation der stilistisch hegemonialen französischen oder englischen Produktion verdammt. Der moderne Stil sollte sich als deutscher Stil weltweit durchsetzen.

 

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